Junge Männer und Fabrikfutter

Gerade habe ich ein gemütliches Beisammensein fluchtartig verlassen. Ich habe Lustiges erwartet, denn die geladenen Gäste hatten bei einer früheren Gelegenheit meiner vegan lebenden Mutter einmal rundheraus erklärt, Soja sei ein künstliches, in Fabriken aus irgendwelcher Chemie hergestelltes Produkt, und, so wörtlich, diese Scheiße würde man nicht essen, sie solle bitte eine vernünftige Tiefkühltorte bereitstellen statt selbst zu backen.
Damals war ich sauer, inzwischen stelle ich mir jedes Mal, wenn Mama das vernünftige Essen auftaut, vor, wie selbiges das Gedärm der Besucher verklebt und verkleistert, und lächle.

Heute jedoch wurden wir mit Fabrikfutter verschont… weil das Thema Flüchtlingspolitik aufkam. Wobei weder die Worte "Flüchtling" und "Politik" vorkamen, noch auch nur annähernd fundierte Informationen und Meinungen ausgetauscht wurden, sondern sich das Gespräch wie ein Karpfen im Schlamm suhlte. "Das sind doch alles junge Männer" - "Die können doch gar nicht arbeiten, selbst wenn sie wollten, aber sie wollen sich ja eh nur ein schönes Leben machen" und "Ausländer klauen" wurden als Faktum in den Raum gestellt, und eine tapfere ältere Tante von mir, die mit "ach hör doch auf, die Deutschen klauen doch auch" versuchte, Normalität Sachlichkeit zu bewahren, wurde sofort mit dem absoluten, unanfechtbaren Argument zum Schweigen gebracht: "Nee, das is so!" Ja. Wenn das so ist. Da mußte ich leider gehen.

Und jetzt mal ein paar Worte dazu, ohne daß ich irgendwie politisch aktiv wäre:

Weltweit sind fünfeinhalb Millionen Menschen auf der Flucht. 5,5 Millionen! Das ist unfassbar viel Krieg und Leid und Hunger und Elend. Von diesen 5,5 Millionen Menschen bin ich persönlich bisher nicht einem einzigen begegnet. Die These, daß wir von ihnen überrannt werden, wird also selbst für einen sehr schlicht denkenden, das Internet nicht benutzenden, eine Zeitung mit mehr Bildern als Worten lesenden und nur zwischen Eigenheim und Zeltplatz hin und her pendelndem Menschen im Alltag nicht bestätigt.
Natürlich flüchten diese fünfeinhalb Millionen Menschen nicht alle nach Deutschland. Über 80% von ihnen flüchten nirgendwohin, sie rennen einfach innerhalb ihres eigenen Landes vor der Gewalt weg, bewegen sich maximal ins Nachbarland und wollen ihre Heimatregion nicht verlassen. Wer will das auch schon - sich vom Krieg aus dem Landstrich vertreiben lassen, in dem man aufgewachsen ist und den man kennt und liebt?
In Deutschland wurden im letzten Jahr rund 173.000 Asylanträge gestellt, von denen nicht einmal die Hälfte bewilligt wurde. Seien wir großzügig - sagen wir, 100.000 Menschen seien nach Deutschland geflohen. Wir sind ein Land mit 81 Millionen Einwohnern. Es kommt also ein Flüchtling auf über 800 Deutsche. Wo ist das Problem?

Wir haben über 6 Millionen Hartz IV Empfänger. Ich habe mich kürzlich mit einigen Hartz IV Empfängern auf einem Bildungsurlaub getroffen, wo ich einen Kurs leitete. Jeder von ihnen bekommt nach Stellung aller möglichen Anträge insgesamt mehr Geld als ich in einem guten Monat - von den schlechten Monaten, wie dem Oktober, wo ich wegen der Herbstferien 2 Wochen weniger Verdienst habe, möchte ich gar nicht sprechen.
Ich persönlich finde das gesamte Hartz IV System unglaublich entwürdigend, wie so vieles, das vom allgemeinen "Wirtschaft über alles" - Denken hervorgebracht wurde, und ich hasse es, als hervorragend ausgebildete Akademikerin verzweifelt über die Miete in den Sommermonaten nachdenken zu müssen, aber dennoch sind wir ein Land, in dem es selbst den Menschen, die wirklich sehr wenig Geld haben, nicht so schlecht geht, daß sie Hungern und frieren müssen.

Ein Mensch, der nie in seinem Leben einen Flüchtling gesehen hat, aber der Meinung ist, dieser Flüchtling (mich erinnert das an "Der Russe steht vor der Tür") würde ihm irgendwas wegnehmen, hat ein ernsthaftes Problem. Mit Angst und Gier.

Und hier nochmal in kurz und knapp auf Buzzfeed.

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